Straßenverkauf bengalischer Bücher am Rande der Buchmesse in Kalkutta 2022 ((c) H. Harder)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Neusprachlichen Südasienstudien, oder englisch Modern South Asian Languages and Literatures, sind eine Regionalwissenschaft, die sich mit dem indischen Subkontinent beschäftigt. Südasien (Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, Bhutan und Malediven) beherbergt heute ein knappes Viertel der Weltbevölkerung und ist für seine ethnische und sprachliche Vielfalt bekannt. Vier der größten Sprachen der Region (Hindi, Urdu, Bengali und Tamil) werden in Heidelberg regelmäßig und intensiv unterrichtet. Das zentrale Anliegen unserer Abteilung in Lehre wie auch Forschung ist es, Zugänge zu geschichtlichen, gesellschaftlichen, religiösen, politischen, literarischen und medialen Themen jenseits der englischsprachigen Öffentlichkeit Südasiens zu vermitteln.

Kleine Fächer stehen oft für riesige Themengebiete: Dies gilt auch für die Neusprachlichen Südasienstudien. Die bei uns unterrichteten Sprachen kommen heute in Summe auf fast eine Milliarde Muttersprachler. Studierenden und Forschenden bietet sich eine sehr breite Palette von Themen. Unsere Arbeitsgrundlagen sind passive und aktive Sprachbeherrschung, text- und medienwissenschaftliche Kompetenz sowie regionalwissenschaftliche Expertise. Mehrere unserer Sprachen – insbesondere Tamil – weisen eine beträchtliche historische Tiefe auf. Der Schwerpunkt in Sprachvermittlung und Forschung in Heidelberg liegt aber im kolonialen und postkolonialen Südasien, also hauptsächlich vom 19. Jh. bis in die Gegenwart, und hier in den Bereichen Literatur und Film.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Das Heidelberger Südasien-Institut bietet unserer Abteilung beste Rahmenbedingungen und sehr gute Vernetzungsmöglichkeiten. Mit seinen insgesamt sieben Abteilungen (Ethnologie, Geschichte, Wirtschaft, Geographie, Politologie, Klassische Indologie sowie Neusprachliche Südasienstudien) steht es für eine in dieser Breite für Europa einmalige inter- und multidisziplinäre Südasienforschung. Die Neusprachen beliefern einerseits Studierende und Mitglieder anderer Abteilungen mit den nötigen Sprachkenntnissen. Andererseits ist es ein Ziel des Faches, das Profil einer neusprachlich orientierten Text- und Medienwissenschaft zu schärfen und bisweilen auch gegenüber dem Traditionsfach Indologie zu behaupten. Gleichzeitig wird jedoch auch von den vielfältigen Synergien, die sich zwischen diesen beiden Schwesterfächern ergeben, Gebrauch gemacht.

Über das Südasien-Institut hinaus profitiert das Fach auch von der Nähe anderer asienkundlicher Disziplinen (Sinologie, Islamwissenschaft usw.) sowie von interdisziplinärer Zusammenarbeit in verschiedenen Kontexten. So war die neusprachliche Abteilung an Verbundprojekten wie dem SFB 619 (Ritualdynamik), dem Exzellenzcluster „Asia and Europe“ und der Graduiertenschule „Globale Religionsgeschichte“ beteiligt und ist aktuell in einer neuen Graduiertenschule zum Thema „Ambivalente Feindschaft“ involviert.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Die universitäre und öffentliche Wahrnehmung des Faches ist ausbaufähig. Einer der Gründe dafür auf der Ebene der Universitätslandschaft ist, dass es erst seit wenigen Jahren und an wenigen Standorten institutionell verankert ist. Die Entstehung des Faches ist eine Folge der Ausdifferenzierung der Indologie, welche jedoch nicht durchgängig stattgefunden hat. Vielerorts geschieht Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Neusprachen weiterhin im Rahmen der Indologie.

Ein weiterer Grund mag sein, dass der Begriff Südasien für den indischen Subkontinent im deutschen Sprachraum weiterhin nicht sehr geläufig ist. Für die gegenwartsbezogene Forschung ist jedoch der historische Begriff „Indien“ und die darauf aufbauende „Indologie“ aufgrund der geopolitischen Lage problematisch. Urdu beispielsweise ist heute mehrheitlich in Pakistan beheimatet, und angesichts der Spannungen zwischen Indien und Pakistan liegt es auf der Hand, dass Südasien diesbezüglichen Studien einen neutraleren konzeptionellen Rahmen bietet.

Ein dritter Grund für mangelnde öffentliche Wahrnehmung und instabile studentische Nachfrage ist die schwankende, kaum kontrollierbare Popularität des Subkontinents. Indien profitierte lange vom Image der gewaltfreien Unabhängigkeitsbewegung und einem Komplex von Exotik und Spiritualität. Eine Welle von Bollywood-Enthusiasmus in den 2000ern verschaffte insbesondere dem Hindi-Unterricht zeitweise großen Zulauf. Dieses Bild trübte sich in den Folgejahren durch verschiedene Ereignisse ein, besonders durch den sogenannten Nirbhaya Rape Case von 2012, der auch international starkes Medienecho hervorrief. Aktuell stehen Bilder der „größten Demokratie der Welt“ als prädestiniertem Partner Europas im globalen Gefüge der Wahrnehmung zunehmender autokratischer Regierungspraxis in den Demokratien Indiens und Bangladeschs gegenüber.

Die südasiatischen IT-Hochburgen tragen nicht zur Popularität indischer Regionalsprachen bei und verweisen auf einen vierten Grund für die mangelnde Wahrnehmung des Faches: Stärker als beispielsweise in arabischen und chinesischen Öffentlichkeiten ist Südasien in gehobenen gesellschaftlichen Schichten in steigendem Maße anglophon. Die Bedeutung der englischen Sprache hat seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947 stetig zugenommen. Der IT-Bereich und große Teile des internationalen Handels laufen im englischen Medium ab.

Dies alles verweist das Fach auf seinen Kernbereich: die Sprachen, Kulturen, Literaturen und Medien der oft zu wenig wahrgenommenen Mehrheit des Subkontinents. Es gilt, innerhalb und außerhalb der Universität stärker ins Bewusstsein zu rücken, wie bedeutsam es ist, kulturelle Zugänge jenseits der anglophonen Schichten zu erschließen. Kompetenz in Regionalsprachen und die Kenntnis der mit ihnen verbundenen kulturellen Sphären ermöglicht uns andere Perspektiven und ein tieferes Verständnis der Entwicklungen auf dem Subkontinent.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Unbedingt! Vernetztes Arbeiten liegt für eine Regionalwissenschaft wie die neusprachlichen Südasienstudien auf der Hand. Methodisch gilt es, sich über die Grenzen des Fachs hinaus mit systematischen Fächern (z.B. germanistische Literaturwissenschaft, Politologie oder Religionswissenschaft) vertraut zu machen.

Im Bereich der Lehre tragen wir dem Rechnung, indem wir Studiengänge (in dem in Heidelberg vorgeschriebenen Maß und darüber hinaus) mit interdisziplinären Fenstern versehen und Studierende ermutigen, sich in anderen Fächern und Instituten umzusehen. Auf diese Weise können die Ressourcen der Universität möglichst umfangreich genutzt und auf individuelle Orientierungen der Studierenden maßgeschneidert reagiert werden.

In der Forschung spielt Vernetzung ebenfalls eine zentrale Rolle. Wie oben erwähnt, hat sich in Heidelberg die Verbundforschung insgesamt positiv auf unser Fach ausgewirkt. Insofern setze ich auch in Zukunft auf Beteiligung an größeren Projektclustern innerhalb unserer Universität. Daneben gilt es, innerhalb Heidelbergs im Rahmen des Südasien-Instituts sowie europa- und weltweit südasienspezifische Forschungskooperationen einzugehen. Zwei solche Forschungsinitiativen der vergangenen Jahre – „Literary Sentiments“ mit Kolleginnen zwischen Nordamerika, Indien und Europa und „Recalibrating the Vernacular“ mit Kolleginnen und Kollegen von der Jamia Millia Islamia-Universität in Delhi – mündeten in gemeinsamen Buchpublikationen und waren wissenschaftlich ausgesprochen bereichernd.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Das lässt sich kaum pauschal beantworten. Je nach den Ausprägungen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen bieten sich hier sehr unterschiedliche Möglichkeiten und bilden sich die unterschiedlichsten Gewichtungen heraus. Ich kann für die Südasienstudien in Heidelberg und Halle sprechen. Hier haben lokale bzw. nationale außeruniversitäre Forschungsinstitutionen gelegentlich als Projektpartner und/oder Geldgeber fungiert. So wären für Halle die Franckeschen Stiftungen und für Heidelberg der Verein zur Förderung der Bildung – VFB Salzwedel e.V. zu nennen. Auf internationaler Ebene ist die Heidelberger Kooperation mit dem Centre for Studies in the Social Sciences (Calcutta) besonders produktiv und hat zum gemeinsamen Aufbau einer umfangreichen Datenbank bengalischsprachiger Zeitschriften aus der Kolonialzeit geführt. Daneben gibt es sporadische Kooperationen mit lokalen Museen, Kinos, Literatur- und Filmfestivals (z.B. im Rahmen der UNESCO City of Literature Heidelberg) usw. sowie international mit den Goethe-Instituten in Südasien (in Indien „Max Müller Bhavan“ genannt). Schließlich sind auch NGOs und Partnerorganisationen in Südasien zu nennen, die im Falle von Heidelberg für im Verlauf des Bachelorstudiums vorgesehene Praktika zur Verfügung stehen.

Die Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen ist wichtig für unser Fach und sollte aktiv vorangetrieben werden. Sie kann das Interesse an südasiatischer Kultur wecken und universitäres Fachwissen in die Gesellschaft tragen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Institutionell haben neusprachliche Südasienstudien meist im Rahmen des Traditionsfachs Indologie stattgefunden, wo der Schwerpunkt in der Regel auf klassischen Kulturen und Altsprachen (Sanskrit, Pali) lag und liegt und eine Gegenwartsorientierung die große Ausnahme darstellt. In den letzten ca. zwanzig Jahren ist es zu einem massiven Abbau indologischer Lehrstühle gekommen. Zahlreiche Standorte (Freiburg, Münster, Berlin, Kiel, Köln, Bonn, Halle) sind geschlossen worden. Nur vereinzelt hat das zu Umwidmungen zugunsten neusprachlicher Ausrichtungen geführt (Bonn).

Aus der Sicht meines Faches ist die Ausdifferenzierung der Indologie in eine eher altsprachlich orientierte klassische Indologie und neusprachlich ausgerichtete Südasienstudien zu begrüßen. Angesichts der immerfort steigenden Bedeutung Südasiens muss zugleich der Abbau von Lehrstühlen gestoppt werden. Besonders die jüngste Schließung sowohl der klassischen als auch der neusprachlichen Variante in Halle an der Saale (sachsen-anhaltinischen Finanzierungsproblemen geschuldet) darf sich nicht wiederholen.

Es geht vielmehr darum, das Fach für die Zukunft breiter und besser aufzustellen. Eine dezentrale Struktur gibt schon die südasiatische Sprachvielfalt vor: Nicht überall können sämtliche großen Sprachen unterrichtet werden, insofern sind regionale Schwerpunktsetzungen notwendig.

In der Forschung steigt auch in den neusprachlichen Südasienstudien perspektivisch die Bedeutung der Digital Humanities. Immer größere Korpora sind digital verfügbar und ermöglichen die Bearbeitung historischen und zeitgenössischen Materials in neuer Fülle. Die entsprechenden Methoden ins Fach hineinzuholen, zu popularisieren und mit unseren herkömmlichen Methoden sinnvoll zu ergänzen, ist eine der Aufgaben der kommenden Jahre. Ein weiterer Punkt, der mir essentiell für die Zukunft unseres Faches scheint, ist die entschlossenere Miteinbeziehung regionalsprachlicher Populärkultur (Film, Medien, Literatur) in unsere Curricula und Forschungsinteressen. Die kritische Begleitung der vielfältigen Entwicklungen auf diesem Gebiet ist wünschenswert und ausbaubar.

Was schließlich das Studium betrifft, so findet mehr und mehr auch unter den Studierenden eine Internationalisierung statt. Jenseits des BA-Niveaus haben wir es heute mit einer Mehrzahl von Studierenden zu tun, die Deutsch nicht oder nicht muttersprachlich beherrschen. Das führt zu Versuchen mit bilingualem Unterricht (Deutsch-Englisch) oder auch zu einem kompletten Umschwenken aufs Englische. Hier einen ausgewogenen Kompromiss zu gestalten, sehe ich ebenfalls als eine Aufgabe des Faches in den kommenden Jahren.

Hans Harder ((c) Sona Prabhakaran)

Hans Harder ist seit 2007 Professor für Neusprachliche Südasienstudien am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Nach Studien in Hamburg und Heidelberg (1986-1995) arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale. Hans Harders spezielle Interessensgebiete umfassen koloniale und postkoloniale Literatur in Bengali, Hindi und anderen südasiatischen Sprachen, neuere Geistesgeschichte, religiöse Strömungen seit dem 19. Jh. sowohl im Hindu- als auch im islamischen Kontext und soziolinguistische Fragestellungen zwischen Regionalsprachen und Englisch auf dem Subkontinent.

Weitere Infos