((c) Dimitris Vetsikas)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Das Fach ist Sprache, Literatur, Geschichte und Kultur des modernen Griechenlands und der Republik Zypern einschließlich der Frühen Neuzeit gewidmet. Als selbstständiges Fach ist es erst seit der jüngeren Vergangenheit an deutschen Universitäten etabliert, Interesse an seinen Gegenständen gibt es aber seit langer Zeit. Meistens liegt dieses Interesse in Konstellationen des Ausgangslandes begründet. Das Thema der griechischen Reparationsforderungen führte zu einem Interesse an der Deutschen Besatzung in Griechenland 1941–1944/45. Die intensiven Migrationswellen der jüngeren Vergangenheit führen zu einem neuen Interesse an Religionen und christlichen Konfessionen und somit auch an der Griechisch-Orthodoxen Kirche. Die Diskussion um die griechische Staatsschuldenkrise führte zu einer erhöhten Nachfrage des Angebots der Neogräzistik (allerdings nicht zu einer Ausweitung der Finanzierung/Stellen). In diesem Zusammenhang wurden an der FU das drittmittelfinanzierte CeMoG (Centrum Modernes Griechenland) und in Kooperation mit der Universität Athen das ebenfalls drittmittelfinanzierte ComDeG (Online-Compendium der deutsch-griechischen Verflechtungen) eingerichtet. Der Beitritt Griechenlands in die EU führte damals zu einem intensivierten Interesse an dem Fach, was sich auch in Einrichtungen von Stellen äußerte (z.B. am Fachbereich für Angewandte Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim). Man könnte das weiter zurückverfolgen und als Phasen größeren Interesses die Jahre des Ersten Weltkriegs, die Gründung eines unabhängigen griechischen Staates und die Einsetzung eines bayerischen Prinzen als dessen ersten König, den Philhellenismus und – bezogen auf die Frühe Neuzeit – verschiedene Diskurse im Nachgang der Reformation anführen. Je nach Interesse rücken mal die Sprache, mal die Literatur, mal die Geschichte und mal auch religionswissenschaftliche Aspekte in den Vordergrund.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die Einbindung in einen Fachbereich und die Struktur der Fakultät, der der Fachbereich angehört, sind absolut ausschlaggebend für die Personalauswahl bei Neubesetzungen und in der Folge für die Lehr- und Forschungspraxis. Um meinen eigenen Standort zu nehmen: Das Fach ist eingebunden in einen Fachbereich mit Schwerpunkt auf europäische und amerikanische Sprachen und Literaturen. Das führt zunächst zu einem Fokus auf die Aspekte des modernen Griechenlands, die Folge seiner Einbindung in europäische Kontexte sind. Die Fakultät für Geisteswissenschaften in Hamburg ist zugleich sehr breit aufgestellt, wodurch ein enormer Freiraum vor allem in der Forschung entsteht. Die Lehrpraxis ist wesentlich dadurch bestimmt, wie eine Universität/eine Fakultät/ein Fachbereich die Vorgaben des Systems modularisierter Studiengänge umsetzt. Wenn die Vorgaben für große und für kleine Fächer mit prekärer Personalausstattung identisch sind, sind die Freiräume in der Lehre durch systemische Vorgaben stark eingegrenzt.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Bezogen auf die Öffentlichkeit: Das Fach „leidet“ an der Besonderheit der überproportionalen Wahrnehmung der griechischen Antike, die selbst das Wahrnehmungsverhalten von solchen Menschen bestimmt, die Griechenland und Zypern im Hier und Jetzt bereisen.

Bezogen auf das Hochschulsystem: Das Fach öffnet Verbundprojekten große Potenziale, sich in kompetitiven Finanzierungskontexten von Konkurrenzprojekten zu unterscheiden. Zugleich schränken die Universitäten durch extrem knappe Personalausstattungen diese Möglichkeiten in einem Maße ein, dass dieses Potenzial nicht vollumfänglich gehoben werden kann.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die Vernetzung mit anderen Fächern bedeutet einen enormen Mehrwert. Ob sie möglich ist, ist eine Frage dessen, wie Fachbereiche und Fakultäten strukturell aufgestellt sind. In den fast zwanzig Jahren, in denen ich meine Professur innehabe, war ich in einem literaturwissenschaftlichen Verbund tätig, der sich Fragen der Narratologie widmete, und habe ich in einem Verbund mit Fokus auf die Frühe Neuzeit mitgearbeitet. Mehr Zeit würde größeres Potenzial eröffnen: Griechenland und die Türkei haben über lange Jahrhunderte eine gemeinsame Geschichte, und das Verhältnis beider Länder ist im Kontext transnationaler Geschichtsnarrative ein hochinteressanter Beispielfall. Sprachliche Veränderungen im Zusammenhang mit dem Entstehen neuer Medien wären ein wichtiges Forschungsthema. Da viele Kleine Fächer kulturwissenschaftlich relevant sind, sind sie prädestiniert, das aktuelle Interesse an kulturellem Erbe zu bedienen.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Leider so gut wie keine, zumindest bezogen auf Deutschland. In Griechenland und Zypern gibt Forschungseinrichtungen, die sich mit relevanten Themen beschäftigen und mit denen es immer wieder Kooperationen gibt.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Jede Professur, die frei wird, steht in einem gewissen Maße zur Disposition. Wenn eine Professur in der Neogräzistik nicht wiederbesetzt wird, bedeutet dies die Schließung eines Standorts. Für die Zukunft des Faches sind somit seine Wahrnehmung innerhalb der eigenen Universität und die Art und Weise, wie die Universität das Potenzial einer Professur nutzbar macht, von entscheidender Wichtigkeit. Für eine positive Entwicklung sind flexible Einbindungsmöglichkeiten des Lehrangebots in das Angebot des Fachbereichs bzw. der Fakultät notwendig. Zukunft ist mehr standort- als fachbedingt. Ob die Entwicklung, dass Besetzungen von Professuren mit der Perspektive der Einbindungsfähigkeit in Forschungsverbünde erfolgen, sich für das Fach in der Summe als positiv oder negativ erweist, ist in einem gewissen Maße von Zufälligkeiten abhängig. Positiv wäre eine Entwicklung, die Interdisziplinarität fördert, ohne Fachkompetenz zu opfern.

((c) Ulrich Moennig)

Ulrich Moennig hat seit dem Jahr 2004 eine Professur für Byzantinistik und Neugriechische Philologie an der Universität Hamburg inne. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen u.a. byzantinische und neugriechische Literatur, griechische Nachkriegsliteratur, Narratologie sowie Wechselwirkungen zwischen Rhetorik und Literatur in Byzanz. Bis 2021 hat er das griechisch-deutsche Projekt Cultures and Remembrances – Virtual time travels to cultural encounters from the 13th to the 20th century. The Cretan experience geleitet. In einem aktuellen Forschungsprojekt widmet sich Professor Moennig den Predigten des Kyrillos Lukaris. Neben zahlreichen weiteren Mitgliedschaften und Gremientätigkeiten fungiert Professor Moennig seit 2011 als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Neogräzistik in der Bundesrepublik Deutschland. Weitere Informationen