Deckel des altägyptischen Sarges im Archäologischen Museum der Universität Münster ((c) J. Klocke)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Ägyptologie erforscht die altägyptische Kultur von der Vorgeschichte (ab ca. 3200 v. Chr.) bis zu ihrem Ende in den ersten Jahrhunderten n. Chr., d.h. in einem Zeitraum von fast 4000 Jahren. Diese Kultur soll in allen ihren Teilgebieten sowie in deren Aspekten und Erscheinungsformen erfasst werden, um diese zu einem ganzheitlichen Bild zu vereinigen. Die wichtigsten Teilgebiete der Ägyptologie sind: Archäologie, Geschichte, Kunst, Sprache, Schrift, Literatur, Religion, Baugeschichte und Feldarchäologie. Grundlagen für die Forschung bieten die materiellen Hinterlassenschaften sowie Texte und Bildquellen, die in besonderer Qualität und Quantität erhalten sind.

Altägypten wird dabei im Rahmen der umgebenden Kulturen und Reiche gesehen, mit denen die pharaonische Gesellschaft im Austausch stand. „Ägyptisch“ zu interpretierende Denkmäler stammen sowohl aus dem Niltal vom Mittelmeer bis Khartum im heutigen Sudan als auch von der Libyschen Wüste im Westen bis nach Vorderasien im Osten sowie aus dem gesamten Mittelmeerraum.

Methoden und Erkenntnisse zahlreicher anderer Wissenschaftszweige (z.B. Sprachwissenschaft, Kunst- und Literaturgeschichte, Religionsgeschichte, Ethnologie, Politikwissenschaften, Anthropologie, Biologie, Pharmazie etc.) sind für die Erforschung des alten Ägyptens in vielen Bereichen hilfreich. Daher ist inter- bzw. transdisziplinäres Arbeiten in der Ägyptologie selbstverständlich. Ägypten mit seinen vielfältigen und gut erhaltenen Quellen und Befunden - kaum sonst aus dem Altertum sind z.B. so viele Objekte aus organischem Material so gut erhalten - kann andererseits oft in exemplarischer Weise Fragen an frühe Hochkulturen und die Entwicklung der Menschheitsgeschichte beantworten helfen.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

An der Universität Münster ist die ganze Bandbreite altertumswissenschaftlicher Fächer vertreten. Neben den größeren Disziplinen wie Alte Geschichte, Klassische Archäologie, Klassische Philologie sowie Ur- und Frühgeschichte sind auch die Vorderasiatische Archäologie, Altorientalistik und Biblische Archäologie vertreten. Mit der Koptologie, der Papyrologie und dem Zypern-Institut sind sogar die kleinsten der Kleinen Fächer bei uns präsent. Diese Fülle an Fächern mit einem Schwerpunkt in der Antike wirkt sich sehr positiv aus: In der Lehre, da die Studierenden neben dem eigentlichen Fachwissen viel aus diesen benachbarten Fächern mitnehmen, und für sie das alte Ägypten breiter in die alte Welt eingebettet wird als an manchen anderen Standorten. Neben den an die einzelnen Fächer gebundenen Studiengängen existiert daher ein interdisziplinärer Masterstudiengang zum antiken Mittelmeerraum, der auch die mit dem Altertum beschäftigten theologischen Teilbereiche (z.B. Altes Testament, Kirchengeschichte) sowie die Arabistik/Islamwissenschaft und die Jüdischen Studien zusammenführt.

In der Forschung liegt interdisziplinäre Zusammenarbeit quasi auf der Hand. Diese findet einerseits strukturiert statt – seit der ersten Phase der Exzellenzstrategie sind die Altertumswissenschaften in „Religion und Politik“ eingebunden. Andererseits haben wir mit dem Netzwerk „Archäologie diagonal“ einen Verbund geschaffen, in dem alle archäologisch arbeitenden Personen der Universität Münster (Professuren, Mittelbau und Studierende) vereint sind. Wir haben daher schon seit langem Erfahrung in niedrigschwelliger Zusammenarbeit und eine fruchtbare Diskussionskultur, die die Forschungen von einzelnen inspiriert.

Die fachliche Breite an der Universität Münster beeinflusst Forschung und Lehre sicher positiv. Demgegenüber steht die geringe Personaldecke: der Großteil dieser Fächer ist mit nur einer Professur vertreten, was dazu führt, dass keines davon als eigenständiges Fach im Bachelor studiert werden kann. Die Ägyptologie hat sich mit der Koptologie, der Altorientalistik und der Vorderasiatischen Archäologie zusammengeschlossen, um einen BA-Studiengang zu realisieren. An vielen universitären Standorten ist die Ägyptologie mit nur einer Professur ausgestattet, die nach den jeweiligen verfügbaren Möglichkeiten zu ganz unterschiedlichen Zusammenschlüssen zu einem Studiengang führt. Insofern ist ein Semester an einem anderen Standort oder gar ein Wechsel kaum möglich.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Das alte Ägypten fasziniert: Pyramiden, Mumien, Nofretete und Tutanchamun... In der Öffentlichkeit wird unser Fachgegenstand als geheimnisvoll, ästhetisch und aufregend wahrgenommen. Insofern stößt man eigentlich immer auf Interesse, wenn man sich als Ägyptologin zu erkennen gibt. Auch in den Medien wird häufig über ägyptologische Erkenntnisse berichtet. Dabei handelt es sich meist um erstaunliche Ausgrabungsfunde oder naturwissenschaftliche Entdeckungen an Mumien. Gerade dieser Umgang mit den Toten beschäftigt unsere Gesellschaft immer sehr, wenn man über das alte Ägypten ins Gespräch kommt. Dieses öffentliche Interesse hat jedoch auch einen Nachteil: esoterische Vermutungen, Falschinformation, selbst außerirdische Eingriffe werden verbreitet. Hier müssen wir immer wieder argumentieren und Gegenbeweise erbringen, damit sich diese Bilder nicht festsetzen. Gerade was den Pyramidenbau betrifft, erhalte ich regelmäßig Zusendungen, die versprechen, das Geheimnis endlich gelüftet zu haben!

Die Wahrnehmung innerhalb des deutschen Hochschulsystems ist schwierig zu beurteilen: ägyptologische Projekte werden von der DFG und anderen Förderinstitutionen finanziert, es gibt mehrere ägyptologische Akademienvorhaben. Andererseits steht die Ägyptologie wie viele andere Geisteswissenschaften immer wieder unter Rechtfertigungsdruck: Was bringt es der Wirtschaft, der Gesellschaft, wenn man Hieroglyphen lesen kann? Hier muss man auf den Kompetenzerhalt pochen, und vor allem auf die Lehren, die aus dem Wissen um die Geschichte und Kultur auch für die heutige Gesellschaft und ihre Probleme gezogen werden können.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die Vernetzung mit anderen Fächern ist sehr wichtig; einerseits mit anderen altertumswissenschaftlichen Disziplinen, um eine globale Sicht zu erhalten oder Unterschiede zwischen den Kulturen deutlich machen zu können, andererseits mit entfernten Fächern, die mit ihren spezifischen Methoden wertvolle Hilfen geben können. So sind z.B. im kunsthistorischen Bereich chemische Pigmentanalysen weiterführend, oder bei Texten literaturwissenschaftliche Kriterien. Je nach Disziplin ist die Art der Zusammenarbeit unterschiedlich, sie kann von reiner Dienstleistung (Gesteinsbestimmung) über Analogien oder Vergleiche (bestimmte Erscheinungen, die für unterschiedliche Kulturen aus der jeweiligen Disziplin heraus untersucht werden) bis zu echter gemeinsamer Forschung (z.B. in der Pharmaziegeschichte) führen.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Außeruniversitäre Forschung ist für die Ägyptologie sehr wichtig. Einerseits generieren Akademienprojekte bedeutende Grundlagenforschung. So besteht das „Wörterbuch“-Projekt an der BBAW bereits seit 1897 und ist das internationale Leuchtturmprojekt für ägyptische Lexik (und darüber hinaus). Doch auch andere Akademienprojekte liefer(t)en wichtige Beiträge, auf die weltweit aufgebaut wird.

Auch Museen sind ein bedeutender Partner, denn vor allem durch den Kontakt mit ägyptischen Kunstwerken beim Museumsbesuch wird der Nachwuchs interessiert, und im besten Fall ein Studium aufgenommen. Doch auch darüber hinaus sind Museen mit ägyptischen Sammlungen für uns wichtige Kooperationspartner, sehr viel Forschung basiert z.B. auf Texten, die auf Papyrus geschrieben sind und in Museen aufbewahrt werden.

Ein weiterer wichtiger Kooperationspartner ist das Deutsche Archäologische Institut, eine renommierte Institution, die auf die weltweite Archäologie spezialisiert ist. Seit mehr als 100 Jahren gibt es eine Abteilung Kairo mit einem festen Mitarbeiterstamm, die an mehreren Orten in Ägypten Grabungen durchführt.

Nicht zuletzt spielen auch andere Institutionen wie Max-Planck-Institute oder Fraunhofer immer öfter eine Rolle, insbesondere wenn es um naturwissenschaftliche Kooperationen geht – z.B. bei Rückstandsanalysen in Gefäßen.

Vor allem in Akademienvorhaben und Museen wie auch am DAI können unsere Studierenden Praktika absolvieren und somit auch andere Bereiche der Ägyptologie, außerhalb der Universität, kennenlernen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Innerfachlich denke ich, dass die Ausdifferenzierung, die verstärkt seit dem 21. Jh. zu beobachten ist, noch weiter zunehmen wird. Forschung wird immer spezialisierter, immer detaillierter.

Die größte Herausforderung sehe ich im fehlenden Nachwuchs. Die Studierendenzahlen sinken wie in allen geisteswissenschaftlichen Fächern, und in den Karrierestufen unterhalb der Professur gibt es an den Universitäten fast keine unbefristeten Stellen. Das verunsichert viele, ist aber natürlich kein spezifisch ägyptologisches Problem. Eine andere Herausforderung ist die politische Situation in Ägypten: Die Revolution 2011 hat viel verändert, vor allem, was Strukturen betrifft. Auch wenn Ägypten ein einigermaßen sicheres Land ist, kann niemand in die Zukunft schauen. Ich selbst habe meinen Forschungsschwerpunkt im Sudan, und seit dem Kriegsausbruch im April 2023 ist dort Feldforschung unmöglich und Kooperation mit sudanesischen Kolleg:innen schwierig. Als Ägyptologin ist man deshalb vielleicht etwas mehr an die Weltpolitik gekoppelt als in anderen Kleinen Fächern.

Es wäre für die Ägyptologie, aber auch andere altertumswissenschaftliche Fächer hilfreich, wenn unsere Zeithorizonte und Kulturen in den Schulen nicht nur in der 5. Klasse, sondern auch noch einmal in der Oberstufe in den Unterricht einfließen könnten. Damit würden unsere Fächer in das Bewusstsein der Jugendlichen gerufen, und vielleicht ziehen manche ein entsprechendes Studium in Erwägung.

Unter den Fachkolleg:innen wird auch diskutiert, vermehrt auf Internationalisierung schon im Studium (in der Forschung ist das Usus) zu setzen und englischsprachigen Unterricht im Masterbereich anzubieten. Ägyptologische Ausbildung in Deutschland ist international hoch anerkannt, und wenn die Sprachbarriere fällt, sicher auch für auswärtige Studierende besonders attraktiv.

((c) Angelika Lohwasser)

Angelika Lohwasser ist seit 2009 Professorin für Ägyptologie an der Universität Münster. Studium und Promotion an der Universität Wien, Anstellungen am Kunsthistorischen Museum Wien, an der Humboldt-Universität Berlin, am Ägyptischen Museum und Papyrussammlung Berlin und an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind vor allem mit den Kulturen des antiken Sudan verbunden, wo sie seit 2009 Leiterin von Feldprojekten ist. Religion, Königtum, Ikonografie und materielle Kultur stehen dabei im Fokus. Auch in der engeren Ägyptologie ist ihr Zugang artefaktorientiert.

Weitere Informationen Prof. Dr. Angelika Lohwasser / Universität Münster